Zweisprachige Bibliothek feierte mit Reinhold Bilgeri
22.10.2025
In der zweisprachigen Bibliothek Kroatisch Minihof (Dvojezična biblioteka Mjenovo) wurde kürzlich gefeiert – und das gleich doppelt: Zwanzig Jahre literarische Veranstaltungen und die Rückkehr eines besonderen Gastes. Reinhold Bilgeri, Musiker, Filmemacher und Autor, präsentierte in der vollbesetzten Bibliothek seinen neuen Roman „Das Gewissen der Tauben“ und begeisterte das Publikum mit einer Mischung aus Lesung, Musik und persönlichen Erzählungen.
Bilgeri, der bereits mit „Der Atem des Himmels“ und „Die Liebe im leisen Land“ große Erfolge feierte, stellte in Kroatisch Minihof seinen dritten Roman vor. „Das Gewissen der Tauben“ spielt im Jahr 1959 und erzählt von der jungen Gerda, die bei ihrer streng katholischen Mutter in Wien aufwächst. Nach dem Tod des Vaters verliebt sie sich in den geheimnisvollen Piero, einen Schweizer, der in eine Fluchthilfeorganisation verwickelt ist. Als Piero verschwindet, begibt sich Gerda auf eine gefährliche Spurensuche – bis nach Rom, Genua und Nordafrika.
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„Es ist ein sehr emanzipatorischer Roman“, erklärte Bilgeri. „Nach den zwei Weltkriegen, die von Männern angezettelt wurden, war es Zeit für die Frauen, aufzustehen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.“
Neben der Liebesgeschichte behandelt der Roman die verdrängte Vergangenheit Österreichs. „Die Aufarbeitung des Holocaust und der Zivilisationsbrüche des Zweiten Weltkriegs ist bis heute nicht abgeschlossen“, sagte Bilgeri. „Viele Opfer und Täter haben geschwiegen – auch in meiner Familie.“
Ein authentisches Werk
Der Roman trägt starke autobiografische Züge. Bilgeri verarbeitete darin Auszüge aus dem Tagebuch seines Vaters, der während des Krieges desertierte und sich griechischen Partisanen anschloss. „Mein Vater hat gesagt: Lies das Buch, ich kann nicht mehr darüber reden“, erzählte Bilgeri im Gespräch.
Die Arbeit am Manuskript sei emotional gewesen: „Einerseits die Konfrontation mit den Vatikan-Papieren, andererseits die Rückkehr zu den Erlebnissen meines Vaters. Das hat vieles wieder aufgewühlt.“ Dennoch habe er versucht, auch Leichtigkeit zuzulassen: „Man muss in diesem Buch manchmal lachen. Es geht um Liebe, um Distanz, um das Menschliche.“
Zur Bedeutung des Titels sagte Bilgeri: „Die Taube ist das Symbol für den Heiligen Geist. Doch in dieser Zeit schien das Gewissen verschwunden. Die Kirche hatte damals nicht das moralische Rückgrat, das nötig gewesen wäre. Die Frage bleibt: Haben die Tauben ein Gewissen – oder keines?“
Rückkehr an einen besonderen Ort
Für Andrea Karall, Leiterin der Dvojezična biblioteka Mjenovo, war der Abend ein Höhepunkt in der Geschichte der Bibliothek: „Es war wirklich ein fulminanter Abend. Ich habe mir schon lange gewünscht, Reinhold Bilgeri wieder hier im Pfarrhof zu haben. Es ist keine klassische Lesung – es ist ein Event. Mit seiner Musik, seiner Stimme, seiner Präsenz.“
Bilgeri war bereits vor zwanzig Jahren erster Gast der damals neu gegründeten Bibliothek. „Ich erinnere mich gut“, erzählte er lächelnd. „Ich kam in ein mehrsprachiges Nest, irgendwo im Grünen, und traf auf ein unglaublich interessiertes, herzliches Publikum.“
Die Bibliothek versteht sich heute als kultureller Treffpunkt für die Region. Karall erklärte: „Wir hatten viele bekannte österreichische Autorinnen und Autoren – Thomas Raab, Eva Rossmann, Dorothea Zeichmann. Aber uns ist wichtig, dass die Themen einen Bezug zur Region haben. Wir verbinden Literatur, Mehrsprachigkeit und aktuelle gesellschaftliche Themen.“
Publikum zwischen Begeisterung und Nachdenklichkeit
Der Pfarrhof war bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele Gäste zeigten sich tief beeindruckt. „Die Kombination aus Lesung und Musik war beeindruckend“, meinte eine Besucherin. Ein anderer Gast ergänzte: „Ich habe ihn als Sänger gekannt, aber er ist auch ein großartiger Erzähler. Das Buch werde ich sicher lesen.“
Bilgeri selbst sprach über seine drei Leidenschaften – Musik, Film und Literatur: „Schreiben ist ein einsamer Job. Beim Film entsteht Kunst in Zusammenarbeit, und die Musik steckt in allem – im Rhythmus der Sprache, in den Bildern. Am liebsten aber mache ich Film, weil dort alles unter einem Dach ist.“
20 Jahre Literatur in Kroatisch-Minihof
Die Veranstaltung stand im Rahmen der österreichweiten Aktion „Österreich liest – Treffpunkt Bibliothek“ und markierte das zwanzigjährige Jubiläum der zweisprachigen Bibliothek. Marijana Kuzmić, eine der Organisatorinnen der ersten Lesung 2005, erinnerte sich: „Damals war es kalt, der Pfarrhof noch nicht renoviert – aber Bilgeri war schon unser erster Gast. Dass er nun wieder hier war, schließt einen schönen Kreis.“
Mit der Lesung zeigte die Bibliothek einmal mehr, dass kulturelles Engagement nicht an Ortsgrößen gemessen wird. Literatur und Musik, Geschichte und Gegenwart trafen in Kroatisch Minihof aufeinander – in einem Abend voller Nachdenklichkeit, Wärme und Begeisterung.
„Kultur findet nicht nur in großen Städten statt“, sagte Bibliotheksleiterin Karal zum Abschluss. „Auch in kleinen Dörfern kann große Literatur lebendig werden.“