Sprachenverlust gefährdet Österreichs Vielfalt – Volksgruppenschulen für urbane Zentren wie Wien und Graz!
05.05.2025
Anders als etwa in Kärnten und im Burgenland, gibt es in Wien für Kroaten, Roma, Slowenen und Ungarn keine Möglichkeit, ihre Bildungslaufbahn zumindest bis zur Matura durchgehend in ihrer jeweiligen Erstsprache zu absolvieren. Obwohl österreichweit die meisten Mitglieder der autochthonen Volksgruppen in der Hauptstadt leben und Österreich sich rechtlich zur Förderung und Erhaltung der Volksgruppensprachen verpflichtet hat. Aus diesem Grund haben sich die Vertreter der in Österreich lebenden autochthonen Volksgruppen im Rahmen einer Pressekonferenz getroffen, um ihren Unmut in Richtung Öffentlichkeit Kund zu tun.
Geladen hat die Ständige Konferenz der Vorsitzenden der Beiräte der autochthonen Volksgruppen Österreichs (kurz: „Vorsitzendenkonferenz“): Im Mittelpunkt stand die Gefahr des „Sprachverlusts“ sowie in diesem Zusammenhang die Bildung in den Volksgruppensprachen in Wien und Graz. In den Räumlichkeiten des Zentralverbandes der Ungarischen Vereine in Österreich am Schwedenplatz haben sich folgende Beiratsvorsitzende und Vertreter der jeweiligen Volksgruppen getroffen: Emmerich Gärtner-Horvath (Roma), Attila Somogyi (Ungarn), Bernard Sadovnik (Slowenen), Karl Hanzl (Tschechen), Susanne Weitlaner (steirische Slowenen), Ingrid Konrad (Wiener Slowaken) und Gabriela Novak-Karall (Wiener Kroaten).
Autochthone Volksgruppen
Die Volksgruppen der Kroaten, Roma, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn gelten in Österreich als „autochthon“ (einheimisch, alteingesessen). Sie hatten bereits während der Zeit der Habsburgermonarchie, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 zerfallen ist, ihren Lebensmittelpunkt auf dem Gebiet des heutigen Österreichs.
Ziel der Vorsitzendenkonferenz ist es, durchgängige Bildungsmöglichkeiten von der Vorschule bis zur Matura in den Sprachen der anerkannten Volksgruppen und für deren Angehörige anzubieten – nicht nur in den traditionellen Siedlungsgebieten, sondern auch in städtischen Zentren. Bereits im vergangenen Jahr haben Gespräche mit dem Bildungsministerium begonnen, um nach dem Vorbild der Komensky-Schule in Wien eine Schule für Volksgruppen einzurichten.
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Dafür scheint es auch auf höherer Ebene ein Problembewusstsein zu geben. Im Parlament trafen vergangenen Dienstag im Rahmen der sogenannten Dialogplattform Volksgruppenvertreter auf Abgeordnete. Die Vertreter der Kroaten, Roma, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn tauschen sich einmal pro Jahr mit den jeweiligen Volksgruppensprecher:innen der Parteien unter dem Vorsitz des Nationalratspräsidenten aus. Seit der Schaffung der Plattform 2021 ist ein wiederkehrendes Thema die Förderung und Erhaltung der Volksgruppensprachen. So auch beim jüngsten Aufeinandertreffen. Neben einer Reform des bald 50 Jahre alten Volksgruppengesetzes forderten die Volksgruppenvertreter unter anderem eine „offensive Sprachenpolitik“, wie es Bernard Sadovnik, Vertreter der slowenischen Volksgruppe, formulierte. Darunter verstehen Sadovnik und seine Kollegen die Errichtung einer „Volksgruppenschule“ in Wien, wo Betreuung und Unterricht zweisprachig auf Deutsch und Kroatisch, Roma, Slowenisch oder Ungarisch stattfinden.
Der genaue Bedarf an zweisprachiger Bildung in den Sprachen der Volksgruppen lässt sich nicht präzise ermitteln. Die letzten Erhebungen von Statistik Austria zur Anzahl und Verteilung der Volksgruppenangehörigen stammen aus dem Jahr 2001. Diese zeigen, dass die meisten in Wien leben, nämlich 23.300 von insgesamt 82.500 österreichweit. Die ungarische Volksgruppe, mit rund 10.600 Personen in Wien, ist die zahlenmäßig stärkste. Es folgen Tschechen, Kroaten, Slowaken, Slowenen und Roma.
Politik gefordert: Volksgruppenschule in Wien vor der Umsetzung?
Um die gesetzlichen Grundlagen für eine langfristige Finanzierung und den Erhalt einer „Volksgruppenschule“ in Wien zu schaffen, liegt der Ball nun bei der Politik. Für die Errichtung einer solchen Schule in Form einer Allgemeinbildenden Höheren Schule (AHS) wäre primär der Bund zuständig. Ob die Regierung eine solche Initiative unterstützt, bleibt jedoch unklar.
„Die Weitergabe der Volksgruppensprachen an die Jugend ist für die Volksgruppen von zentraler Bedeutung. Daher unterstützt die Bundesministerin die Forderung nach Bildungsangeboten in diesen Sprachen“, erklärt das Büro von Kultusministerin Claudia Plakolm (ÖVP) auf Anfrage. Gleichzeitig verweist sie auf Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos), der prüfen soll, ob ein solches Bildungsangebot tatsächlich in Form einer Schule umgesetzt werden kann. Plakolm betont, dass das aktuelle Regierungsprogramm keine explizite „Volksgruppenschule“ vorsieht, sondern lediglich eine „Weiterentwicklung der Bildungsangebote in Volksgruppensprachen“ anstrebt.
Die konkrete Umsetzung bleibt somit offen, während die Erwartungen der Volksgruppen nach klaren Lösungen steigen.
Auf dem Hauptbild von links nach rechts: Susanne Weitlaner (steirische Slowenen), Emmerich Gärtner-Horvath (Roma-Volksgruppe), Somogyi Attila (ungarische Volksgruppe), Bernard Sadovnik (kärntnerische Slowenen), Karl Hanzl (Wiener tschechische Volksgruppe), Ingrid Konrad (Wiener Slowaken) und Gabriela Novak-Karall (Wiener Kroaten).